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Donata Kinzelbach: Für Algerien könnte das eine große Chance sein immer vorausgesetzt dass die Situation nicht eskaliert

06-04-2019 11:04:34

Donata Kinzelbach berühmte deutsche Verlegerin, sich über drei Jahrzehnte auf die Herausgabe von Literatur aus dem Maghreb spezialisiert hat.

Media MagDe Interviews von Rochdi Chiahi geführt.

Seit 30 Jahren führt die Gonsenheimerin den nach ihr benannten Verlag Donata Kinzelbach mit Literatur aus dem Maghreb. Bislang liegen über 120 Titel von 68 Autoren vor, hauptsächlich belletristische Werke, aber auch ein Sachbuch über die Situation der Frauen („Geschlechterordnungen in Nordafrika“), eines über das kulturelle Leben in Algerien („Tatort: Algerien“) sowie ein Band zum Filmschaffen in Nord- und Westafrika („Bilderwelten – Sprachwelten“).
Zu den bedeutendsten Autoren des Verlages zählen Rachid Boudjedra (mit 16 Titeln vertreten), Mohammed Khaïr-Eddine (4 Titel), Albert Memmi, Driss Chraïbi..

Das Verlagsprogramm umfasst alle wichtigen modernen Schriftsteller aus dem Maghreb, angefangen von den Marokkanern wie Tahar Ben Jelloun, Mohamed Khair-Eddine, Fadéla Sebti, Driss Chraibi und Abdelhak Serhane, die Tunesier Albert Memmi und Hédi Bouraoui bis hin zu den Algeriern Moulud Mammeri, Rachid Mimouni, Kateb Yacine, Mohamed Dib, Tahar Djaoud −  1993 von islamitischen Extremisten ermordert −, Mouloud Feraoun, Taos Amrouche, Myrian Ben Sabrina sowie vor allem Rachid Boudjedra, von dem der Mainzer Verlag 16 Romane − sein Gesamtwerk umfasst 20 −  herausgebracht hat.

Maghreb-Literatur ist kein traditionelles Interessengebiet im deutschsprachigen Raum. Wie haben Sie Ihr Interesse an diesem Bereich begonnen?

Literatur, insbesondere die aus anderen Kulturkreisen, hat mich von jeher interessiert – deswegen habe ich ja auch nach dem Abitur Vergleichende Literaturwissenschaft studiert. Und nach der Lektüre von Rachid Boudjedras „Topografie“ stand für mich fest, dass ich mehr von diesem Autor und mehr aus dieser Region lesen wollte. Man kann nicht wirklich in Worte fassen, weswegen eine Literatur aus einer Region mehr interessiert als aus einer anderen. Es berührt eine gewisse Saite.

Worin liegt der Unterschied zur Literatur aus dem Nahen Osten?

Der Nahe Osten vereint viele verschiedene Länder mit je unterschiedlichen „Biografien“ dieser Länder, denken wir etwa an Israel, Palästina oder Libanon, Iran und Irak. Was alle gemeinsam haben ist die Erfahrung der erlebten kollektiven Unterdrückung resp. durchlebter Kriege. Verarbeitet wird dieses Trauma aber überall anders, was schon aufgrund der geografischen Ausbreitung des Nahen Ostens auf der Hand liegt. Wir würden, um es einmal auf europäische Ebene zu transferieren, auch nicht erwarten, dass italienische Literatur mit deutscher oder österreichischer Literatur vergleichbar ist. Da fließen immer die landestypischen Eigenheiten ein.

Spiegelt die Literatur der Maghreb-Diaspora, insbesondere das Frankophon, die Probleme der Maghreb-Migration in Deutschland wider?

Natürlich. Ein Land verlässt man nicht wie ein Schiff! Das hinterlässt Traumata, Narben, unerfüllte Sehnsüchte ... Und eben diese werden thematisiert: Kolonialzeit, Identitätsverlust etc.

Wer sind Ihre Leserinnen und Leser? Um welche Themen interessieren sein der maghrebinischen Literatur?

Vielfach ist der Einstieg eine bevorstehende oder eine erlebte Urlaubsreise. Das ist auch der Grund dafür, weswegen es marokkanische Literatur auf dem deutschen Markt leichter hat als algerische. Urlaubsreisen in die marokkanischen Königsstädte sind beliebt und kostengünstig, doch welch verschwindend kleiner Prozentsatz reist schon nach Algerien? Obwohl, und das betone ich ganz ausdrücklich, das Land – also Algerien – so wunderschön ist und die Menschen sehr liebenswert, eben noch nicht vom Massentourismus verdorben.

Die Leser sind – im positiven Sinn – neugierig auf die Literatur, die sich ja schon von der unseren unterscheidet. Da gibt es Romane ohne einen roten Faden (z.B. Kateb Yacine), da gibt es eine blumenreiche Sprache (z.B. bei Malek Haddad), da gibt es den nouveau roman (z.B. Rachid Boudjedra) ... eine Literatur des Facettenreichtums gilt es zu entdecken!

Wie viel das Image der jungen Maghrebiner in Deutschland von der Kölner Silvesterskandal beeinflusst ist?

Das Image der jungen Maghrebiner hat sehr darunter gelitten, umso mehr gilt es, aufklärerisch tätig zu sein. Natürlich will niemand wirklich stattgefundene Straftaten gutheißen, aber es muss doch konstatiert werden, dass die überwiegende Mehrzahl nicht zu den Tätern gehört. Schon deswegen bin ich froh über die friedlichen Demonstrationen momentan in Algerien – das ist das Algerien, das ich kenne und liebe! Und dann werden noch die Straßen gesäubert, was dem Klischee vom mediterranen Dreck widerspricht.

Warum ist die maghrebinische Literatur in Deutschland so selten?

Ich denke, das ist auch eine finanzielle Geschichte. Literatur übersetzen zu lassen, ist sehr kostenintensiv, außerdem fallen Kosten für die Rechte an. Bis ein Buch das jemals wieder einspielt, ist es normalerweise längst von Neuerscheinungen überschüttet worden. Da ist es einfacher, irgendein Buch eines Medienstars auf den Markt zu werfen, das sich schon aufgrund des Bekanntheitsgrades des Autors verkauft. Literatur aus dem Maghreb zu verlegen ist mein Luxus.

Wie lesen Sie die aktuellen politischen Entwicklungen in Algerien?

Bislang bin ich fasziniert von der Disziplin, mit der all die Demonstrationen stattfinden. Und von der Breitenwirkung, denn jede Bevölkerungsschicht und jedes Alter ist vertreten. Für Algerien könnte das eine große Chance sein, immer vorausgesetzt, dass die Situation nicht eskaliert – was ja niemand hofft.

Was sind Ihre künftigen Projekte?

Die Jugend ist unsere Zukunft. Mein Traum wäre es, eine Anthologie herauszugeben mit Beiträgen junger Algerierinnen und Algerier. Wie sehen sie selbst ihre Zukunft? Was sind ihre Ängste, Visionen, Träume ...

 

 http://www.kinzelbach-verlag.de/

 


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