Marokkanische Community: Unglaublich, undenkbar, unislamisch
07-02-2016 01:03:10
Auch Nordafrikaner haben Frauen an Silvester sexuell belästigt. Die marokkanische Community verurteilt die Taten scharf, warnt aber vor Klischees. Sie sieht sich in der Pflicht, jungen Leuten aus ihren Reihen und Flüchtlingen zu helfen.
Autor: Stefan Toepfer, Redakteur in der Rhein-Main-Zeitung.
Lucyna Bernhardt ist eine Frau, die nicht auf den Mund gefallen ist. So musste die 80 Jahre alte Rentnerin nicht eine Sekunde lang überlegen, als vor kurzem jemand von ihr wissen wollte, wie sie - jetzt, da so viel von nordafrikanischen Übeltätern die Rede sei - mit „ihren“ Marokkanern zurechtkomme. „,Wunderbar‘, habe ich gesagt.“ Ihre Einschätzung ist ein Beitrag zur Differenzierung.
Diese Tugend ist Thema in jedem Gespräch mit Marokkanern und Deutschen mit marokkanischen Wurzeln, in dem es um die sexuellen Übergriffe in Köln geht und um die Debatten, die sich daran angeschlossen haben. Auf die Marokkaner, die ihr schon in der ein oder anderen schweren Stunde geholfen haben, lässt Lucyna Bernhardt jedenfalls nichts kommen.
„Ihre“ Marokkaner, das sind jene des Frankfurter Vereins Aamana, der sich um kranke Kinder in Marokko, aber auch um bessere Bildungschancen für junge, oft marokkanischstämmige Leute kümmert und der Kulturveranstaltungen anbietet. Treibende Kraft und Vorstandschef des Vereins ist der Offenbacher Arzt Majid Hamdouchi, dessen Eltern einst als Gastarbeiter aus Marokko kamen.
„Eine ganze Volksgruppe wird in den Dreck gezogen“
Hamdouchi vermisst einen ernsthaften Willen zu Differenzierung in der Gesellschaft. Das Klima Marokkanern gegenüber habe sich mit dem Beginn des neuen Jahres verändert, nun würden plötzlich alle Marokkaner verdächtigt, kriminell zu sein. „Diesen Stempel aufgedrückt zu bekommen nervt.“
Auch andere sehen einen schlimmen Hang zu Verallgemeinerungen. „Es ist schade, dass eine ganze Volksgruppe in den Dreck gezogen wird“, sagt etwa Fouad Atmani, ein Wirtschaftsingenieur, der bei den Frankfurter Stadtwerken arbeitet. Und Abdassamad El Yazidi kommt zu dem Schluss: „So viel Hass und so viel Missverständnisse wie jetzt gab es noch nie. Islamfeindlichkeit wird salonfähig.“ Er steht dem Zentralrat der Muslime in Hessen vor und hat ebenfalls marokkanische Wurzeln.
Die Staatsanwaltschaft in Köln ermittelt derzeit gegen 35 Beschuldigte, neun von ihnen sitzen in Untersuchungshaft. Von den 945 Anzeigen, die bislang eingegangen sind, beziehen sich rund 560 auf sexuelle Übergriffe. Bisher sind ein Tunesier und ein Marokkaner angeklagt worden, einen Mann in der Nähe des Hauptbahnhofs eine Tasche mit einer Kamera gestohlen zu haben.
„Vergewaltigung ist auch in Marokko strafbar“
„Wenn die Täter Flüchtlinge gewesen sein sollten, soll man sie abschieben. Wir wollen sauber bleiben“, sagt Hossnia Ellouhi, die in Offenbach den Frauenverein Café Miriam leitet. Auch andere verurteilen das, was geschehen ist, scharf, vor allem die sexuellen Übergriffe. „Diejenigen, die das getan haben, haben die Gastfreundschaft in Deutschland missbraucht“, urteilt Abdelkader Rafoud vom Zentralrat der Marokkaner in Deutschland, der seinen Sitz in Offenbach hat. „Sie müssen so bestraft werden, wie es das Gesetz vorsieht“, fügt El Yazidi hinzu.
Dass die kulturelle Prägung der Männer in Marokko es ihnen leichter gemacht habe, Frauen anzugreifen, weist El Yazidi zurück: „Es gibt in unserer Kultur keine Ansätze dafür.“ So argumentieren auch Majid Hamdouchi und Abdelkader Rafoud. „Vergewaltigung ist auch in Marokko strafbar, das ist keine deutsche Erfindung“, hebt Fouad Atmani hervor.
Und auch wer im Islam eine Kraft sehen will, die frauenverachtende Taten fördert, erntet heftigen Widerspruch: Die Täter hätten allesamt unislamisch gehandelt, weil sie die Würde der Frau missachtet hätten. Schon dass viele der Männer vermutlich alkoholisiert gewesen seien, widerspreche der Religion.
„In Marokko wäre so etwas undenkbar“, sagt Laila Bouhadou. Die Frankfurterin hat den Hilfsverein Orient meets Occident gegründet und gemeinsam mit Rabia Bechari einen Verein, der muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger ausbildet. Für sie wird dem Thema sexuelle Gewalt in Deutschland nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. „Das ist ganz generell ein Problem und für jedes Opfer eine ganz schlimme Sache.“
http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/marokkanische-community-unglaublich-undenkbar-unislamisch-14040257.html